Will man sich das Bild eines Künstlers vergegenwärtigen, dessen hundertsten Geburtstag man eben zu feiern hat, das heißt, der uns seit mehr als einem Jahrzehnt entschwunden ist, wird es noch immer am besten sein, in seiner Erinnerung jene Wege zu wiederholen, auf denen man ihm zum erstenmal begegnet ist. So kann man den Fremden, aber wohlwollend Interessierten noch immer am behutsamsten in das Wesen eines Menschen einführen, vielleicht aber sogar den Skeptiker von dem oder jenem Vorurteil befreien. Denn vorausschicken muß man wohl, daß Ernst von Dombrowski, der von sich selber gesteht, „kein besonderes Leben“ gehabt zu haben, auch unter seinen Zeitgenossen, sein Künstlertum abgerechnet, kein besonderer Mensch war, sondern – wie seine Generation – umstritten bis zur Verleumdung, wobei man die Irrtümer seiner Generation, an denen der Mensch teilhatte, billig und oberflächlich auf den Künstler und seine Kunst übertrug. Doch ist das eine Erfahrung späterer Jahre.
Als ich den Namen Dombrowski erstmals erfuhr, war es ein gefeierter und geehrter Name, wobei es dahingestellt bleibe, wieweit solche Feier auch Förderung bedeutete. Der Künstler hat später mehrmals darauf verwiesen, daß er „offizielle“ Förderung selten erfahren habe; er war auch der wenigen einer, der ihrer niemals bedurfte. Doch auch das stellte sich erst später heraus. Aber 1938 war eine vollständige Serie seiner Holzschnitte, Portraits großer Deutscher darstellend, nicht nur in den Schaufenstern der Alpenland-Buchhandlung ausgestellt, sondern auch in Amtsstuben und Lagern, sogar – horribile dictu – der Hitlerjugend vertreten. Die Portraits, kantig und knorrig gezeichnet, waren jeweils mit einem Ausspruch des Dargestellten in jener köstlichen Fraktur versehen, die Hitler später mit einem Federstrich aus der Schule verbannt hat. Nur nebenbei, weil zuvor die HJ-Lager erwähnt wurden: War es wirklich so böse, dieser Jugend das Wort des Immanuel Kant zuzurufen: „Der Mensch kann nur werden durch Erziehung“? Gewiß, diese Erziehung wurde zu entsetzlichen Zielen mißbraucht, aber das konnte weder Kant noch Dombrowski erkennen. Der Holzschnitt Walthers von der Vogelweide trug den Spruch: „Land hab ich viel gesehn / Nach dem besten blickt ich allerwärts / Übel müßte mir geschehn / Konnt ich je bereden mein Herz / Daß ihm wohlgefalle fremder Lande Brauch / Wenn ich lügen wollte, Lohnte es mir auch?“
Der Spruch gilt uns heute nationalistisch, sogar fremdenfeindlich. Aber er war 1938 und selbst zu Zeiten Walthers die Reaktion auf die deutsche Unsitte, sein Eigen gering zu schätzen und in der Fremde sein Volkstum zu verleugnen, wo es nur anging. Man darf mir keinen Vorwurf daraus machen, daß ich hier von Deutschen rede und die Österreicher selbstverständlich einbeziehe. Aber bis 1806 gab es eben das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, und es waren die Habsburger, die den Reichspatriotismus gegenüber dem preußischen und dem reichsständischen Partikularismus durchzusetzen versuchten. Als der Österreicher Walther von der Vogelweide endlich ein Lehen erhielt, bekam er es von dem Staufer Friedrich II. und in Würzburg; und es brauchte keinen Anschluß, damit Ernst von Dombrowski unter den großen Deutschen auch Maria Theresia und Prinz Eugen konterfeite. (Und wieder nebenbei: Ein österreichischer Babenberger hat den armen Walther ziemlich ekelig von seinem Hof vergrault – was blieb ihm übrig, als „ins Reich“ zu gehen?) Ich jedenfalls bin damals, siebzehnjährig, immer wieder minutenlang vor diesem Portrait gestanden, nachdenkend über österreichisches und deutsches Schicksal, gebannt von dem Spruch Ulrichs von Hutten „Ich habs gewagt mit Sinnen / Und trag des noch kein Reu!“ Aber auch mir, dem weit über seine Jahre hinaus historisch interessierten und unterrichteten Schüler, fiel unter diesen Köpfen einer auf, den ich noch nie gesehen und dessen Namen ich noch nie gehört hatte: Stephan Ludwig Roth. Des Spruchs entsinne ich mich nicht mehr, doch war darin irgendwie von „Stürmen und Stranden“ die Rede. Es hat lange gedauert, bis ich mir zu diesem Namen die nötige Kenntnis erwarb. Doch in dem erst 1934 abgeschlossenen, aber bereits 1927 begonnenen „Großen Brockhaus“ war unter diesem Namen verzeichnet: „Volksheld der Siebenbürger Sachsen... Mitarbeiter Pestalozzis... erntete aber als Reformpädagoge in seiner Heimat keine Anerkennung. Seit 1937 Pfarrer (in verschiedenen Siebenbürger Gemeinden), entfaltete er eine rege schriftstellerische Tätigkeit. In der ungar. Revolution 1848 wirkte er als österreichischer Pazifikationskommissär zur Befriedigung des aufständischen Kokelburger Komitates, wurde aber von den Ungarn gefangen, am 11. Mai 1849 durch ein ungarisches Kriegsgericht in Klausenburg zum Tode verurteilt und erschossen...“ Man mag einwenden, dies sei kein Held für die heutige Zeit, obwohl sein Titel „Pazifikationskommissär“ einen Ruhm weit entfernt von Waffentaten und Kriegsdienst verrät. Aber indem er den Siebenbürger Sachsen half, ihr Volkstum zu bewahren, hat er sich gegen den rumänischen Staat der Zwischenkriegs- wie der Nachkriegszeit vergangen, und so hat man auch dieses Portrait Dombrowski vorgeworfen, dem unverbesserlichen Nationalisten. Nur, als der Journalist mit dem österreichischen Bundespräsidenten etwa in den späten Siebzigern Rumänien besuchte, da hatten sogar die Kommunisten das Denkmal dieses bösen Nationalisten vor der Klausenburger Kirche stehen lassen. Die Erklärung für solche nicht eben häufige Toleranz fand ich später: In der neueren Literatur gilt Stephan Ludwig Roth als Kämpfer gegen den ungarischen Nationalismus - und da war er den Rumänen natürlich recht! Auch solche Grotesken müßte kennen, wer bei uns mit dem Vorwurf des Nationalismus herumwirft.
Warum Ernst von Dombrowski neben europäischem Format wie Immanuel Kant und Prinz Eugen just diesen doch wohl nur regional bedeutsamen Stephan Ludwig Roth hinstellt – dessen Schriften, sechs dicke Bände, wurden schon in der Zwischenkriegszeit kaum noch gelesen –, enthüllt eine ziemlich allgemeine österreichische Mentalität: Als Österreicher hat er sich stets den „Volksdeutschen“, wie man sie damals nannte, und ihrem Ringen um Sprache und Volkstum verbunden gefühlt. Es waren ja auch die Habsburger, die den größten Teil dieser Kolonisten in ihre neue Heimat entsandt hatten. Vielleicht hat er sich selber bereits als Grenzlanddeutscher gefühlt. In Emmersdorf an der Donau ist er geboren. Der Ort ist so klein, daß er sich in keinem Lexikon oder Atlas findet. Hier erscheint unter dem Datum vom 12. September 1896 die Anzeige: „Ein Sohn wurde uns geboren und wir haben ihn ERNST KARL RUDOLF genannt. Ernst von Dombrowski / Gertrud von Dombrowski geb. Wolf. Emmersdorf an der Donau. „1896 ist politisch ein eher ruhiges Jahr. Frankreich hat soeben Madagaskar erobert, Thomas G. Masaryk ein Buch über die tschechische Frage geschrieben. Aber diese tschechische Frage ist unter umgekehrten Vorzeichen bis heute nicht ausgestanden, und auch im Jahr selber gibt es zwei Ereignisse, deren entscheidende Konsequenzen bis heute virulent blieben. Der eben 36jährige Theodor Herzl schildert in einem Buch den „Judenstaat“, wie er nach dem Zweiten Weltkrieg verwirklicht wurde und sich heute hart genug behaupten muß, und die Italiener werden von den Abessiniern bei Adua geschlagen; Mussolinis Bestreben, diese entwürdigende Niederlage zu widerrufen, und wenn ganz Europa dagegen sein sollte, wird die europäische Politik der dreißiger Jahre umkrempeln und den Weg in den Zweiten Weltkrieg freimachen. Soll man als drittes Kriterium anführen, daß zum erstenmal in der Politik der Begriff „nationalsozialistisch“ auftaucht, und zwar im Namen eines von Friedrich Naumann gegründeten liberalen Vereins? Von diesem Zeitpunkt an wird dieser Begriff nicht mehr verschwinden, ehe er über die Tschechei, wo eine nationalsozialistische Partei ausgerechnet von Eduard Benesch geführt wird, im Deutschland der Zwischenkriegszeit seine furchtbare Bedeutung gewinnt. (Und wieder, um es sich für später zu merken: Von seiner reinen Wortbedeutung her läßt diese Bezeichnung die Greuel nicht ahnen, die zuletzt ihr Inhalt sein werden.)
Verblüffender: Kindheit und Jugend Dombrowskis, also das Alter des Lernens und Aufnehmens, sind geprägt von Dichtern wie Verlaine und Ibsen, Joseph Conrad, Arthur Schnitzler und Anton Tschechow, später von Hermann Hesse, Thomas Mann und Georg Kaiser, doch keiner dieser Namen scheint in seinem Werk oder in seinem Leben und seinem Bildungsgang auch nur die geringste Rolle gespielt zu haben. Dabei hat Ernst von Dombrowski von früh auf wie ein ausgeprägtes Verhältnis zur Geschichte ein ebensolches zur Literatur, vielleicht sagten wir besser: zur Dichtung. Derart wurde er nicht nur der Schöpfer selbst erlebter Wirklichkeiten, „freier Kompositionen“ und oft gemütvoller, oft auch bizarrer Erfindungen, sondern in demütigem Dienst an den Großen der Dichtung auch zum Illustrator. Peter Rosegger, Paula Grogger und Paul Ernst aus der nächsten Umgebung, aber auch Shakespeare, die Romantiker Clemens Brentano und Achim von Arnim, Wilhelm Hauff und immer wieder Adalbert Stifter, Jeremias Gotthelf und Johann Peter Hebel, Stijn Streuvels und Felix Timmermanns, Sigrid Undset und Dimitri Mereschkoski, Max Mell und Rainer Maria Rilke – sie können nur ungefähr die Weite der Welt, wie sie Dombrowski in der Dichtung entgegengetreten war, umreißen.
Wie die logische Konsequenz mutet es an, daß der Künstler Ernst von Dombrowski, der in seinen Holzschnitten und Zeichnungen so köstlich, aber auch eindringlich und im tiefsten Ernst zu erzählen wußte, auch zum Erzähler im Wort wurde. Mit dem „Micherl“ und dem „Roserl“ hat der kinderlose Dombrowski zwei Kinder in der Erzählung gezeugt, die dem Leser – oder dem Hörer – gewiß unvergeßlich bleiben werden. Damit sind zwei Charakterzüge Dombrowski festgehalten, die erst im Laufe seines Lebens zutage getreten sind, aber von Jugend auf für ihn kennzeichnend waren. Er, der selber abseits des „Kunstbetriebs“ und des „Marktes“ gewerkt und geschaffen hat, wird in hohem Alter aus seinem Privatvermögen hochdotierte Preise stiften für Künstler, die abseits des Kunstbetriebs ihren Weg getreulich verfolgt haben. Und zweitens: Er kreist nicht immer nur um sein eigenes Schicksal, etwa jenes der Kinderlosigkeit, sondern versenkt sich in die Schicksale Fremder, zum Beispiel in die Psyche von Kindern. In seinem eigentlichen Werk sind autobiographische Züge kaum zu finden, oder zum Beispiel der Kriegsgefangene hat sein persönliches Schicksal in der erschütternden Zeichnung des „Gefangenen“ ins zeitlos Allgemeingültige erhoben. Das ist in der Zeit eines schwächlichen Spätindividualismus, der „Selbstverwirklichung“, ja sogar der „Selbstdarstellung“ als künstlerisches Programm das höchste Lob, das man einem Künstler spenden kann. An gemütlichen Abenden in kleiner Runde hat er wohl von sich selber erzählt und das eine oder andere davon auch zu Papier gebracht, aber das fiel immer so nebenher ab, trug oft den Charakter der Briefform an sich und war als Mitteilung gedacht. So beginnt eine längere Aufzeichnung bezeichnenderweise: „Komm, ich will dir von meiner Kindheit erzählen. Weil all das, was später kam, in nahezu acht Jahrzehnten, nicht so bedeutsam war wie der Augenblick, in dem mir die Erkenntnis dämmerte, daß ich in einer Welt stand, die eine besondere, gleichsam nur für mich zugerichtete Welt war. Ich mag fünf Jahre alt gewesen sein, als mir das geschah. Von allen Seiten schob sich Verwirrendes an mich heran, berührte und bedrängte mich. Ich konnte den Großen davon nichts sagen, weil ich den Dingen keinen Namen zu geben wußte. Es waren Begegnungen, Botschaften und Warnungen, die in mir fortwirkten, sich immer wieder auffrischten, weil neue, diesen früheren gleichende, hinzu kamen. Ich weiß, daß der Mensch unter tausend Erscheinungen die eine herausfinden wird, die für ihn, nur für ihn bestimmt ist, ohne, daß er sich dessen bewußt wird. Vieles tut der Mensch, ohne es recht zu wollen. Ich bin oft über geheimnisvolle Fäden gestolpert, die ich nicht gesponnen hatte; jetzt weiß ich, daß einer da ist, der die Fadenspinnerei betreibt, daß er in meinem Haus wohnt und sich doch nicht um meinen Willen kümmert“.
Auch der wohlwollendste Betrachter, der diese Passage für die ausgezeichnete Studie eines geistig-seelischen Zustandes hält, wird zugeben, daß es sich dabei eher um die Interpretation als um die Darstellung einer Kindheit handelt, eine Interpretation, die wenig Einblicke in die äußeren Umstände gibt und noch dazu vom Gesichtspunkt des Alten aus gesprochen ist, der dann auch fortfährt: „... ich bin doch vorsichtig geworden. Ich folge dem anderen, wenn ich meine, daß er mich zum Guten führt, auch wenn der Weg zunächst im Dunklen liegt; aber ich habe oft verzweifelt gegen ihn ankämpfen müssen, wenn ich plötzlich bemerkt habe, daß er mich in bedenkliche Nähe der Höllenpforte gebracht hat. Ich kann ihn nicht hinauswerfen, er genießt eine Art Mieterschutz bei mir. Doch je besser ich ihn kennenlerne, den andern, desto leichter werde ich mit ihm fertig.“
So bleibt uns nichts übrig, als uns auf die stichwortartige Kurzbiographie zu verlassen, die die „Kunstherberge Ernst von Dombrowski“ herausgegeben hat: „... nach einer Reihe von Wanderjahren zog der Vater (Schriftsteller Ernst von Dombrowski) nach Graz. 1914 bis 1918 zum Kriegsdienst eingerückt. Nach dem frühen Tod des Vaters (1917) fallweiser Besuch der Landeskunstschule in Graz, aber im wesentlichen Autodidakt. 1924 Ehe mit Rosa von Stähling. Zuerst freie Kompositionen, Portraits, Landschaften, Öl und Aquarell, Radierungen und allerlei Gebrauchsgraphik, fand dann über die Buchkunst zum Holzschnitt. 1939 als Leiter einer Graphikklasse nach München an die Akademie für Angewandte Kunst berufen, dann Wehrdienst. Lebte seit 1947 in Siegersdorf in Oberbayern, wo er am 14. Juli 1985 starb.“ Auf derselben Seite sind „Preise und Auszeichnungen“ vermerkt: „Zwischen 1925 und 1938 zweimal der Österreichische Staatspreis für Steiermark, die Goldene Staatsmedaille, die Silberne Medaille und die Jubiläumsmedaille der Stadt Graz, 1959 die Erzherzog-Johann-Medaille, Wappennadel der Stadt Krems, Rosegger-Ehrenpreis 1971, 1983 das Große Ehrenzeichen für Verdienste um Kunst und Wissenschaft der Republik Österreich. Mitglied des Akademischen Rates der Humboldtgesellschaft, zahlreiche Preise bei Wettbewerben. “Es fällt der lange Zwischenraum von 1938 zu 1959 auf, dann sind abermals 22 Jahre Zwischenraum von der Erzherzog-Johann-Medaille bis zum Rosegger-Ehrenpreis. Mit diesem aber hatte es eine besondere Bewandtnis: Als im Rahmen des steirischen herbstes immer und immer wieder Kunst und Literatur ausgezeichnet wurden, hat eine private Initiative zur „Rettung des steirischen herbstes“ aus privaten Mitteln einen Preis gestiftet, der dem Empfinden des breiten Publikums besser entsprach als das meiste andere, das damals gezeigt wurde. Und es war kein Zufall, daß man dabei auf Ernst von Dombrowski stieß, dem allezeit der Widerhall in der Bevölkerung wichtiger war als die Anerkennung des Kunstbetriebs. Im übrigen wird man wohl sagen dürfen, daß alle Auszeichnungen und Berufungen eher Herausforderung bedeuteten als Förderung, bis zu jenen letzten großen Herausforderungen als Lehrer und als Soldat. Daß er am Ende seines Lebens in aller Bescheidenheit von sich sagen konnte, er habe „sein Leben halbwegs anständig hingebracht“, mag aus seiner Kindheit erklärlich sein. Seine Mutter stellt er in seinen Erinnerungen ein eigenartiges, sich selbst gegenüber eher skeptisches Zeugnis aus: „Die Mutter hat daran geglaubt, daß sie uns ihr Bestes mitgegeben hat. Ihr Bestes, das sie einmal in einem einzigen glückseligen Augenblick erkannt hat. Wir können ihr noch so viel Enttäuschungen bereitet haben, ganz haben wir ihren Glauben nicht zu zerstören vermocht.“ Über seinen Vater fehlt ein solches Zeugnis eigenartigerweise. Es folgt nur die Erwähnung, daß er für den Sohn zu früh gestorben ist (im Kriege 1917) und daß der Sohn nun wußte, er werde seinen Weg allein gehen müssen. Später erzählte Dombrowski immer wieder, daß sein Vater schriftstellerisch, und zwar als Jagdschriftstellers, sich hervorgetan habe. Ganz scheint Ernst von Dombrowski bis in seine späteren Jahre den Umzug aus seiner Kinderheimat nach Graz nicht verwunden zu haben. Seiten widmet er in seiner Lebensbeschreibung „einem alten Schloß und einem großen Park“: „ich will dich jetzt dorthin führen, wo ein zärtlicher, nie mehr zu enträtselnder Duft über einem stillen, weißen Haus, einem einsamen Park und weiten, weiten Wäldern liegt. Es ist das Haus meiner Kindheit, wenn ich auch nur zwei Jahre darin gewohnt habe. Es ist schon lange her, daß ich dieses Haus verließ und ich habe es seither nicht wiedergesehen. Oft gehe ich wie im Traum durch meine Räume und entdecke Dinge, die mir damals nicht aufgefallen sind. Möchte sein Anblick mich heute enttäuschen, mag es herabgekommen, zerfallen, zerstört, dem Erdboden gleichgemacht sein, es wird nie aufhören, mein Vaterhaus zu sein.“ Und es klingt wie ein Stoßseufzer, wenn er die Schilderung des Parkes abschließt mit den Worten: „Soll mir doch einer sagen, wo der Gesang der Vögel beseligender, das Gezirp der Grillen beruhigender, der Ruf der Eule unheimlicher wäre - oder wo so vielerlei himmlische Düfte durcheinander wogen, der zärtliche der Rosen, der schwermütige der Kastanien, und über allem der bittersüße Hauch des endlich Verwesenden, das heimkehrt in den Mutterschoß.“
Die Übersiedlung nach Graz bedeutete auch insofern eine einschneidende Veränderung, als sie den Knaben fortholte aus der unberührten Natur in die Atmosphäre einer Stadt, die man damals vielleicht noch nicht als Großstadt bezeichnen konnte. Da sitzt man „in der verräucherten Bude, in der Paradeisgasse, im Krebsenkeller oder anderswo“. Am Wohnhaus des Künstlers in der heute so verkehrsreichen Klosterwiesgasse hat die Dombrowski-Stiftung vor einigen Jahren eine Gedenktafel enthüllt. Und der Künstler erkennt zuletzt: „Vielleicht ist es ein gütiges Geschick, das einen Menschen aus der Heimat fortholt und ihn nicht dort altern läßt, wo er gewachsen und geworden ist.“ Aber um den wie aus einem Paradies vertriebenen Knaben „wucherte die Welt des Märchens üppig in meine Kinderstube hinein. Sie wurde ersehnt und als höchst notwendige Ergänzung, ja, Krönung der trockenen Wirklichkeit gläubig aufgenommen. Immer wieder hat man uns dieselben Geschichten erzählen und vorlesen müssen; durch das Wiederholen - es mußte wörtlich genau sein - floß immer wieder neues Leben in die Gestalten der Märchen. Der Kopf verlangte immer Neues, das Herz will immer dasselbe. Wir hätten uns gar nicht gewundert, wenn wir auf der Stiege oder sonstwo einer Prinzessin oder einem Zauberer begegnet wären. Ich glaube nicht, daß mir diese kindliche Donquichotterie geschadet hat, selbst wenn dabei etwas hängen geblieben ist, vielleicht ein gewisser Hang zum Unwirklichen (das bringt heute eher Lob als Tadel) oder zum Romantischen (das allerdings gilt heute als höchst verwerflich).“ In diesen Nebenbemerkungen zu einer gar nicht wehmütigen oder gar wehleidigen Kindheitserinnerung kommt bereits der Sarkasmus des alten Dombrowski zum Vorschein, der die Summe seiner Grazer Jahre zieht: „Es ist mir da nichts geschenkt und nichts vorenthalten worden - Freundschaft und Liebe, Glück und Seligkeit, Leid und Enttäuschung, Reue und endlich die Umkehr - alles, was ein Menschenherz ertragen kann, so lange es jung ist.“ Doch gilt sicher auch für die Grazer Jahre, was er bemerkenswert ausführlich über die Lektüre des Knaben und Jünglings berichtet: „Auch später habe ich beim Lesen viel Glück gehabt; der Schund ist von mir abgeglitten, weil das Gute, das Wahre schon Wurzel geschlagen hatte. Von den Märchen kam ich zu Coopers ‘Lederstrumpf’ und von ihm zu Stifters ‘Hochwald’. Ich las, was mir in die Hände fiel, auch Klassiker, ich wurde mit allem fertig. Und dann entdeckte ich eines Tages im Schaufenster einer Papierhandlung die sogenannten Theaterbilderbogen. Da war, schlecht und recht gezeichnet, was eben an Klassikern damals über die Bühne ging: die Räuber, Wallenstein, Tell, die Jungfrau – da war der Götz und das Gretchen und manches andere, an das man heute nicht mehr denkt. Ich weiß nicht mehr, mit was ich begann, aber bald trug ich mein Taschengeld regelmäßig zum Papierhändler und eilte glücklich mit einem neuen Klassiker nach Haus. Hier schnitt ich die Figuren fein säuberlich aus und legte sie auf dem Tisch nebeneinander. Eine Bühne brauchte ich nicht, aber es blieb nicht aus, daß ich mich über den Bücherschrank machte und nachforschte, was die Dichter meinen Helden für Schicksale zugedacht hatten. Nicht daß ich alles verstanden hätte, was ich da las, aber ich begann doch zu begreifen, daß es im Leben Irrungen und Wirrungen geben müsse, von denen ich mir nichts hatte träumen lassen. Wer weiß, was einen Buben im Bereich der elften oder zwölften Perle bewegt, der kann sich vorstellen, was bei mir über die Bretter ging. Ich, der Direktor und Spielleiter, dachte nicht daran, die Dinge so geschehen zu lassen, wie es in den Büchern stand, ich nahm den Dichtern nur die Bestimmung der Wesensart meiner Helden ab. Das schien mir genug. Und ich tat auch das nur, so weit es mein Berufsethos als Spielleiter zuließ. Für die Handlung sorgte ich also selbst. Es ergab sich, daß da immer um etwas gekämpft werden mußte, und da gab mein Götz das Losungswort, das Feldgeschrei: Freiheit. Das hören und sich dem Mann mit der eisernen Hand anschließen, das war für den Räuber Moor und den Apfelschützen eine selbstverständliche Sache. Der Schauplatz wechselte, bald war es die Schwäbische Alb (ich hatte Hauffs Lichtenstein für die Bühne bearbeitet), bald der Vierwaldstättersee, bald die böhmischen Wälder. Die drei waren bald nicht mehr zu halten, sie drängten zur Tat. Und da ergab sich eine Schwierigkeit - Geßler, Weislingen und wen ich sonst noch in meinem Ensemble hatte, das waren keine Kämpfer, die ich meinen Helden entgegenstellen konnte. Die Wahl fiel endlich auf den Wallenstein, der erschien mir recht zwielichtig, und zudem hatte der Papierwallenstein gewisse Ähnlichkeit mit einem Mathematikprofessor, der mir ein rechtes Ärgernis war. Er sollte natürlich in blutiger Feldschlacht unterliegen.“
Dombrowski besuchte nach dem Tod seines Vaters zeitweise die Landeskunstschule in Graz, ohne sie abzuschließen, und fand hier in Alfred von Schrötter einen guten Lehrer, der ihm viel geholfen hat, „obwohl ich den Weg, den er wies, nicht gehen konnte. Wie viele Kinder habe ich gezeichnet, bevor ich schreiben gelernt hatte, immerschon und immerfort. Schwierigkeiten hat es nie gegeben, was ich aussprechen konnte, das konnte ich auch aufzeichnen und noch mehr. Das war jetzt anders. Ich sollte die Dinge nicht mehr umreißen wie bisher, Zeichen aus Kraft- und Bewegungslinien, auf die allein es mir ankam, nein, jetzt sollte alles nur mit den Valeurs gemacht werden. Ich sah betrübt, aber ohne Neid, wie meine Kollegen mit Leichtigkeit ein naturgetreues, portraitähnliches Gesicht aufs Papier zauberten, indem sie, perfekt wie photographische Apparate, sorgfältig abgestufte Grautöne gefällig nebeneinander ordneten. Ich habe das auch versucht, aber es wollte mir nicht gelingen. Ich begann zu ahnen, daß es in der Kunst um ganz andere Dinge gehe. Schon dieses Ahnen hatte etwas Erregendes, ja Bestürzendes an sich. Und es ist bis heute beim Ahnen geblieben.“
Achtzehnjährig zog Dombrowski in der Ersten Weltkrieg, er nahm ihn eigenem Zeugnis zufolge als Abenteuer. Er hat eben nur mitgetan, ohne zu wissen oder sich auch nur zu fragen, ob der Krieg ein gerechter oder ein ungerechter war. Er fühlte sich seinem Fahneneid verpflichtet. „Wer mehr darüber wissen will, was ein Eid, eine Eidespflicht ist, der lese bei Adalbert Stifter, im Witiko nach.“ Ähnlich der Vertreibung aus dem Paradies seiner Kindheit, muß die Heimkehr aus dem Krieg 1918 auf ihn gewirkt haben. Der Vater war tot, für den 22jährigen galt es nun für sich und die Familie um das tägliche Brot zu sorgen. „Wie schwer das war, kann ich heute gar nicht mehr erzählen, weil ich mir nicht mehr vorstellen kann, wie ich zeitweilig von nichts leben konnte. Ich habe oft sagen hören, daß der wahre Künstler lieber verhungert, als daß er seine Kunst den Wünschen des Auftraggebers anpaßt oder gar unterordnet. Ich habe das oft sagen hören, aber immer nur von Menschen, die eben nur auf das verzichten mußten, was mehr war, als das tägliche Brot und das Dach über dem Kopf.“ Das heißt, Dombrowski litt die ganze erbärmliche Not der Zwischenkriegszeit, der Ersten Republik mit seiner Generation mit. Vermögen in der Inflation war zwar keines zu verlieren, aber Arbeit war eben auch nur schwer zu finden, noch dazu auf künstlerischem Gebiet. Man kann nicht oft genug und nicht intensiv genug das Elend dieser Epoche beschwören, um jene Irrwege zu verstehen oder wenigstens zu entschuldigen, die die Österreicher später gesucht haben. Ich spreche bewußt von „Irrwegen“ in der Mehrzahl, denn es war ja nicht nur Deutschland, nach dem so viele die Blicke richteten, und zwar nicht erst, als dort der Nationalsozialismus zur Herrschaft gekommen war, als nachahmenswertes, zukunftsträchtiges Beispiel lockte ja auch Rußland mit seiner neuen, aus blutigem Bürgerkrieg entstandenen Ordnung. Österreich war ja nicht mehr als „der Rest“, der von der alten Monarchie neben den hoffärtigen, sich ebenfalls als Sieger gebärdenden Nationalstaaten übriggeblieben war; der Tschechoslowakei, wo man in den Kerker wanderte, wenn man es wagte, Tschechen und Slowaken als zwei verschiedene Nationen zu verzeichnen, Jugoslawien, das die Jahrzehntelüge, Nationalstaat zu sein, heute in blutigen Bürgerkriegen bezahlt, und dem aufgeblähten Rumänien. Alle diese Staaten hatten Zukunft, Österreich nicht die mindeste Hoffnung. Der Staat, den keiner wollte, war nach allgemeinem Urteil „nicht lebensfähig“. Österreich genoß ja nicht einmal jene berühmten „Goldenen Zwanziger“, in denen sich das Deutsche Reich eines gewissen Wohlstandes erfreute.
Unglückseligerweise hatte Dombrowski vorher sein Glück in Berlin versucht, im Jänner 1923 war er dahin gezogen, just vor der großen Inflation, die ihn gleich wieder vertrieb. Nur: In Berlin hat er seinen ersten Mäzen gewonnen. Er wohnte im Erdgeschoß des Hauses, in dessen zweiter Etage der Künstler sein Atelier aufgetan hatte, und war ein alter Flickschuster, der ihm seine Zeichnungen abkaufte. „Wieder in Graz habe ich es so weitergetrieben wie bisher.“ Und es war mit Österreich auch so weitergegangen wie bisher. Die italienische Regierung unter Benito Mussolini gibt ihr Programm für die Entnationalisierung Südtirols bekannt, das seinen Namen und seine Sprache verliert, künftighin in ein „Trentino“ und ein „Alto Adige“ zerfällt und in den Schulen italienisch lernen muß. Und im Lande selber bekämpfen sich bis aufs Blut Christlichsoziale und Sozialdemokraten, entstehen bewaffnete Parteigarden, kosten Monat für Monat die Demonstrationen und Zusammenstöße dieser Heimwehren mit dem Republikanischen Schutzbund zahlreiche Tote. Bis 1934 hat es in Österreich drei verlustreiche Bürgerkriege, vier politische Attentate gegeben, ein Bundeskanzler wurde ermordet. Was aber schlimmer ist: in diesem Jahr beträgt die Zahl der unterstützten (!) Arbeitslosen über 311.000; die Zahl der „Ausgesteuerten“ ist nirgendwo festgehalten. In solcher Atmosphäre versucht Ernst von Dombrowski als Künstler zu leben; 1924 hat er sogar geheiratet. Aber trotzdem bleibt seine Erkenntnis bestehen: Mit dem Ende des Krieges (1918) hatte nur ein neues Elend begonnen. Wiederholt spricht er von Hunger und Kälte auch noch in seinen Ehe- und späteren Berufsjahren. Ernst von Dombrowski gehörte nicht zu jenen, die den Untergang des alten Österreich herbeigesehnt und die neue Republik als Fortschritt und Befreiung angesehen hätten. Als die Begeisterung des Jahres 1914 verloren war und die Mängel in der Führung, der Ausbildung, der Rüstung, dem jungen Soldaten immer schmerzlicher bewußt geworden waren, da hatte er immer noch nicht alle Hoffnung aufgegeben. „Am Abend saßen wir beisammen, lauter Offiziere, und sprachen von dem jungen Kaiser und von dem, was er tun könnte, um aus dem alten Österreich wieder ein Reich der Kraft, der Gerechtigkeit und der Ehre zu machen. (Merkwürdig, von der Freiheit ist damals unter uns kaum die Rede gewesen!) Auch sonst ist in den Schützengräben dieses Krieges viel von diesen Dingen gesagt und gesungen worden, bis schließlich der Krieg ein Ende fand, und ein neues Elend begann.“ Es sei hier nicht mehr vom physischen und materiellen Elend die Rede, das hier schon mehrmals angesprochen wurde. Denn „mit dem Hunger und der Kälte hätte ein junger Mensch ja noch fertig werden können. Aber in den Gassen und Hinterhöfen, in den öden Versammlungsräumen geisterte es schon umher - das Gespenst des Kommunismus. Nun, ich war so arm, wie einer nur sein konnte, was hätte ich da wohl zu fürchten gehabt? Wäre es nur darum gegangen, daß man die Hungernden speisen, die Frierenden wärmen und den Unterdrückten die Menschenrechte geben sollte, ich wäre dafür gewesen, welche Farbe die Fahne der Unterdrückten auch gehabt hätte. Aber da waren andere, junge Männer aus gutbürgerlichen Häusern, die in proletarischen Maskeraden auf den Barrikaden auftauchten und die es sehr verstanden, ihren Masken einen modischen Schick zu geben. Sie predigten unermüdlich gegen alles Bürgerliche und waren doch meist nur darauf aus, in einer neuen sozialistischen Gesellschaft wieder ihre gutbürgerliche Sicherung zu finden. Sah man sich so einen näher an, so entdeckte man hinter ihm meist einen bürgerlichen Vater. Während der Sohn auf das Neueste und Modernste aus war, fanden sich in der väterlichen Wohnung solide altdeutsche Möbel, Hausrat und Bilder gleicher Art, kurz eine konservative Ordnung. Gegen sie und gegen den Vater, der ihm das Studium bezahlte, das andere sich erhungern mußten, gegen diesen Vater ist der Sohn auf die Barrikaden gestiegen.“
Diese Sätze, die die Erste Republik betreffen, könnten, weiß der Himmel, auf die Zweite Republik genauso- gut Anwendung finden. Und sie haben früher wie heute die anständigen, ehrlichen jungen Leute abgestoßen. Und dann gibt Dombrowski eine fast humorvolle Erklärung für seinen Konservativismus: „Mein Elternhaus hatte nichts bürgerliches, schon gar nicht kleinbürgerliches an sich. Darum konnte mich das Bürgerliche nicht erschrecken, und ich durfte schon frühzeitig konservative Neigungen bei mir entdecken. Ich habe mit dem Sozialismus, wie er sich mir anbot und von dem viele meiner Altersgenossen ergriffen waren, nichts anfangen können. Ich wandte mich ab, ohne auf die Guten gestoßen zu sein, die doch überall sind, wo ein hohes Ziel gesetzt ist. Politische Bindungen hatte ich also keine, weder nach rechts noch nach links. (Eine Mitte wäre damals schwer zu finden gewesen.) Ich hatte alle Kräfte nötig, um meine materielle Existenz zu fristen. Die Hoffnung, daß mit der Überwindung der unmittelbaren Kriegsfolgen alles wieder in Ordnung kommen würde, schwand zusehends dahin. Auf allen Gebieten des geistigen Lebens machte sich eine wachsende Unsicherheit bemerkbar - oder ich glaubte sie wenigstens zu bemerken. Da schien doch alles fragwürdig geworden, Wissenschaft und Kunst, Familie und Gesellschaft, Volk und Staat, Glaube und Religion - alle sittlichen Grundlagen erschüttert. Ich meinte, daß all der Haß, was seit Jahrzehnten und länger schon geschehn war, nur Flickwerk gewesen sei, unter denen, die sich das verbraucht hatten, mochten gewiß fleißige, tapfere und kluge Männer gewesen sein - aber auf verlorenen Posten. Ich meinte, daß meine Generation, die des Krieges, das Wagnis auf sich nehmen und etwas ganz Neues beginnen müsse. Hatten die anderen nicht schon immer gepredigt, daß das Alte weggefegt und der Welt eine neue und ganz unerhörte Ordnung gegeben werden solle? Ich hatte anderes im Sinn. Ich wollte, daß ein neues Haus gebaut werde, daß aber der alte ehrwürdige Hausrat seinen Platz wieder darin finde. Ja, daß man den Baumeister verhalte, die in einem Jahrtausend gewachsene Form zu übernehmen und mit dem Neuen zu vermählen. Für die nächsten tausend Jahre. So dachte ich und so dachten viele andere.“
Meines Wissens hat kein Mensch das Wollen und die Ziele der damaligen „Rechten“ so klar ausgesagt wie Ernst von Dombrowski in dieser Passage seiner Erinnerungen. Er spricht hier wirklich für eine ganze Generation: „Über das, was man damals gedacht und getan hat, ist viel geredet und gerichtet worden. Für mich kann ich nur sagen, daß ich zeit meines Lebens schwer an dem zu tragen habe, was damals geschehen ist - in meinem Reich der Kraft, der Gerechtigkeit und der Ehre. Aber ich muß sagen, ich sage es für mich und für die, die meine Freunde waren und sind: Wir haben das Gute gewollt. Wo Böses daraus wurde, dort haben wir es zu entgelten, jeder auf seine Weise und nach seinem Maß.“
Was „Böses“ daraus wurde, ist verhältnismäßig bald erzählt. Ein Blutbad, wie es die Geschichte noch nie gesehen hatte und wie es bis dahin einfach unvorstellbar gewesen ist. Für Dombrowski bedeutete es abermals Teilnahme an einem Krieg und im letzten den Verlust seiner Heimat. Denn es wurde nach dem Zweiten Weltkrieg „viel geredet und gerichtet“. Und auch dem solange hungernden und verkannten Künstler wurden jene wenigen Jahre zum Vorwurf gemacht, in denen er als Schaffender wie als Lehrender sich eine größere Wirksamkeit erhoffen durfte. Es ist unnötig, zu sagen, daß er den Herrschenden keinerlei Zugeständnisse gemacht hat. Weder in seinem graphischen noch in seinem dichterischen Werk finden sich auch nur entfernte Anklänge an Imperialismus, Antisemitismus oder Chauvinismus. Es ist überhaupt bedeutsam, daß dieses letzte Wort, nach einem Franzosen gebildet und bestimmt, den berechtigten von einem brutal und lächerlich übersteigerten Nationalismus zu unterscheiden, aus unserem Sprachgebrauch völlig verschwunden ist. Heute gilt schon „national“ als anrüchig und unerlaubt und Patriotismus als lächerlich. So wurde der Generation Dombrowskis – und auch ihm selber – weder der Patriotismus noch seine nationale Hoffnung verziehen. Als er ziemlich bald nach 1945 Graz wieder aufsuchte, begegnete ihm weniger negative Kritik als ein eisiges Schweigen. Das ist inzwischen selbst dem Toten gegenüber nicht anders geworden. Noch die ersten Preisträger der Ernst-und-Rosa-von-Dombrowski-Stiftung mußten sich von „guten Freunden“ fragen lassen, wie sie einen solchen Preis annehmen könnten. Zweifellos entsprach er in seinen Statuten nicht der political correctness, denn es war ein Werk verlangt, das abseits des „Kunstbetriebs“ und unberührt vom Zeitgeist geschaffen wurde. Mit anderen Worten: Ein Werk, wie jenes von Ernst von Dombrowski; nur das Leben und Schaffen sollte den Künstlern leichter werden als ihm. Dombrowski hat diesen Preis, der lange Zeit der höchstdotierte Kunstpreis Österreichs gewesen ist, der Steiermark gewidmet. Auf diese Weise ist er aller Unfreundlichkeit und Ablehnung zum Trotz dennoch in die Stadt zurückgekehrt, von der er schreibt: „Es ist nun bald ein Vierteljahrhundert, daß ich Graz verlassen habe, und es zieht mich immer noch dorthin zurück. Aber von Mal zu Mal muß ich erkennen, daß alles anders geworden ist. Daß ich fremd geworden bin. Und ich fahre fort, weil ich nicht gefunden habe, was ich suchte. Doch langsam, nach ein paar Tagen, da beginnt alles wieder sich einzurichten, da kehren sie wieder, meine Lieben, die ich schmerzlich vermißt habe, sie wohnen wieder dort, wo sie ehedem gewohnt haben, sie wandern mit mir über den Rosenberg und weiter, sie schauen mit mir hinunter auf die nächtliche Stadt und hinauf zu den Sternen.“ Seinen dauernden Aufenthalt hat der Künstler 1948 in Siegsdorf in Oberbayern genommen. Dort hat seine Frau sich mit viel Liebe und unendlichem Fleiß einen Garten angelegt. Doch ist er später immer wieder für einige Tage in Graz für Lesungen und Ausstellungen eingekehrt. Wenn er seine großen Mäzene und Förderer außerhalb der Steiermark - den Rudolf Schneider Verlag in München und vor allem Willibald Völsling, der als einzelner in Hasede bei Hildesheim eine „Kunstherberge Ernst von Dombrowski“ errichtet hat und pflegt - besucht hat, so darf man Personen und Institutionen nicht vergessen, die ihn immer wieder in unser Land zurückgebracht haben. Das Katholische Bildungswerk unter Johann Steiner hat die ersten Lesungen in Graz veranstaltet, der Verlag Leopold Stocker aber unter seinen verantwortlichen Leitern Heinz Brunner und Ilse Dvorak-Stocker vorbildlich sein schriftstellerisches Werk betreut. So ist der Ausklang dieses für unsere Zeit signifikanten Schicksals versöhnlich, vor allem, weil Ernst von Dombrowski ein aufrechter, versöhnlicher Mensch war.
Ernst und Rosa von Dombrowski Stiftungsfonds, A-8010 Graz,
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