Ernst von Dombrowski: Gespräche über die Kunst

Man hat mich öfter gefragt, warum ich nicht moderner male. Ja, habe ich gesagt, warum soll ich? Ich habe kein Bedürfnis danach. Ich kann mich doch an das halten, was früher gewesen ist und so weiter arbeiten. Und das habe ich auch getan, so wie es auch der Petersen getan hat und viele andere.

Der Zeitkritiker Wolfgang Arnold hat einmal zu dieser Frage richtig gesagt, wenn ein Künstler sagt, dass das, was er darstellt, nur ein Experiment ist, so darf dies für die Kunst nicht gelten

Jedenfalls dort, wo ich das Wunderbarste und Großartigste sehe, z. B. im Isenheimer Altar, ist keine Spur von einem Experiment. Das war einfach die allen Betrachtern wohlbekannte Legende noch einmal dargestellt, als ob es eine Bühne wäre.

Und gerade Grünewald hat es verstanden, das, was hundert andere schon gemacht haben, noch großartiger, ergreifender und intensiver darzustellen.

Dabei möchte ich aber bemerken, dass sowohl dort wie bei einem anderen Bild, das ich erwähnen will, die abstrakte Darstellung auch zur Geltung kommt. Z. B. in dem Faltenwurf, in dem weißen Gewand der von Johannes getrösteten Maria ist der Schmerz deutlicher dargestellt als es das winzige Antlitz der Muttergottes bringen konnte. Er ist zwar da, der Schmerz in dem Antlitz, aber die merkwürdige Steifheit des Faltenwurfs und die Knickung sind nach meiner Ansicht ein Teil dieses Schmerzes, in einer abstrakten Form, die den heutigen Künstlern allein genügt, um etwas darzustellen.

Nur war es damals ein Teil der allen bekannten Legende, die auch ein ungebildeter, unvoreingenommener Mensch verstand – er kommt hinein und sieht dies gewaltige Bildnis des gekreuzigten Menschen in seinen Wunden. Rechts daneben steht Johannes der Täufer und zeigt mit dem berühmten Daumen auf das Geschehen. Links steht die Muttergottes, gestützt und gehalten von dem Jünger Johannes.

Ähnlich bedeutungsvoll ist für mich auch das Werk von Fra Angelico in Florenz

Doch zwischen beiden Bildern ist ein gewaltiger Unterschied. Schon die beiden Temperamente der Maler, hier ein Deutscher, dort ein Italiener. Zeitlich sind sie nicht so sehr weit auseinander. Aber Fra Angelico war ein Klosterbruder, der sein ganzes Leben im Kloster verbracht hat. Einmal in seinem Leben wurde er nach Rom zum Papst berufen und musste dort malen. Vergnügt ist er in sein Kloster zurückgegangen und hat dann dort die „Verkündigung“ gemalt als sein größtes Werk.

Es ist eine Muttergottes, die den Engel empfängt, der ihr die Botschaft bringt. Und da ist in einer einmaligen Art die Ergebenheit in den Willen Gottes dargestellt.

Auch hier ist etwas merkwürdiges, das durch die rein abstrakte Form sich ausdrückt, auch wenn man den Gegenstand wegnehmen würde. Da ist der weite Mantel, der sich ausbreitet, die winzige Muttergottes, schmal, ängstlich, vorgebeugt. Dazwischen ist ein merkwürdiges Gewölbe, dahinter eine dunkle Tür. Das alles spielt eine Rolle, spielt zusammen. Da ist die Geste der Hand, der Ausdruck des Gesichtes, aber alles untermalt von dem, was noch auf dem Bild ist.

Ganz anders ist die Muttergottes auf dem Altar von Grünewald. Da ist die Maria eine leidenschaftliche überaus beglückte junge Frau, die jubiliert geradezu. Und der wunderbare Sendbote Gottes. der Engel, kommt geradezu heruntergerauscht bei Grünewald.

Bei Fra Angelico ist der Engel nur ein Stück Kunstgewerbe. Die Muttergottes allein spielt die Rolle. Ich habe das Bild in Florenz vor Jahrzehnten früher einmal gesehen. Es ist mir so in Erinnerung geblieben, dass ich es noch einmal – schon hoch in den achtzig – sehen wollte.

Wir sind in das Kloster gekommen, sind hineingegangen, die Treppe hinauf, haben das Bild angesehen und eine Weile betrachtet und sind wieder fortgegangen, ohne einen Blick auf irgend etwas anderes in Florenz zu werfen.

Ich habe das Gefühl, wenn man anschließend noch etwas anderes, noch so großartiges, anschaut, so wird das gewissermaßen draufkopiert und das vorherige wird verdunkelt, ja fast gelöscht. Deshalb haben wir nichts mehr angesehen als dies.

Gerade bei diesem Bild zeigt sich deutlich, welche Bedeutung nicht nur der Ausdruck des Antlitzes hat, sondern auch die große, dunkle Masse des Mantels, der Schemel, der das Ganze stützt, diese merkwürdige Tür dahinter. Alles das gehört dazu, diesen Ausdruck hineinzubringen, den dieses großartige Gemälde hat.

So ist auch bei Grünewald das Gewand der Maria durchaus ein Teil der Darstellung, nicht das Antlitz allein, die Gebärde des sie stützenden Johannes. Nein, auch gerade diese merkwürdige Art des Faltenwurfs, diese rein abstrakte Zutat, möchte ich sagen, die gibt dem Ganzen die große Kraft.

Dreihundert Jahre später ist mit Caspar David Friedrich der Höhepunkt und Abschied dieser Epoche gekommen.

Das Werk des Caspar David Friedrich ist wie ein Ahnen einer kommenden urgewaltigen Veränderung in dieser Welt.

Das Verschwinden des Seelischen, Gemüthaften, und der Ersatz durch die kalte Ausrechnung - Atombombe, Weltraumplanung und alles das. Und Caspar David Friedrich ist gewissermaßen ein Abschied von dieser Welt. Er zeigt Ruinen, gotische Dome, und dabei feste Eichen. Auch nicht Eichen, die gesund sind, nein, solche die arg mitgenommen sind von Stürmen, Frost und anderem. Winterliche Landschaften und dann irgendein unheimlicher Zug von Mönchen, die in eine zerfallene Klosterpforte einziehen.

Ein wunderbarer, großartiger Abschied einer Menschheitsepoche, von diesem, was gewesen ist und dann eintritt in das 20. Jahrhundert.

Zwei Gestalten sind fast in der Nachfolge von Caspar David Friedrich aufgetreten: Käthe Kollwitz, und in der Folge der Bildhauer Ernst Barlach.

Die Kollwitz hat das Elend der Massen geschildert, das Elend des Fabrikarbeiters, Hunger, Aussperrung, Streik. Sie hat darin eigentlich ihren Lebensinhalt gefunden.

Bei Barlach ist das nicht mehr ganz so deutlich, aber auch noch vorhanden.

Zum Für und Wider zur Moderne gibt es von Käthe Kollwitz aus dem Jahre 1921 eine persönliche Aussage: „Inzwischen habe ich eine Revolution mit durchgemacht und habe mich davon überzeugt, dass ich kein Revolutionär bin. Mein Kindertraum, auf der Barrikade zu fallen, wird schwerlich in Erfüllung gehen, weil ich schwerlich auf eine Barrikade gehen würde, seitdem ich in Wirklichkeit weiß, wie das ist. So weiß ich jetzt, in was für einer Illusion ich die ganzen Jahre gelebt habe, glaubte Revolutionär zu sein und war nur Evolutionär, ja mitunter weiß ich nicht, ob ich überhaupt Sozialist bin, ob ich nicht vielmehr Demokrat bin. Wie gut es ist, wenn die Wirklichkeit einen auf Herz und Nieren prüft.“

Dann aber ist es für die meisten vorüber gewesen, die Schilderung des Elends. Vor allem ist es durch die Befreiung der Arbeiter-Massen erfolgt. Dann kam neues Elend durch den Krieg. Aber zunächst gab es das Elend in der Heimat nicht mehr, die Arbeiter, die völlig recht- und schutzlos waren. Und diese Zeit hat Käthe Kollwitz erschöpfend geschildert. Am Rande auch noch Barlach. Bei ihm war dann eben das große, weite Leid, das überhaupt über die Menschen in der Welt kommt, das Thema.

Und angeknüpft an das habe ich in der Jugend auch noch mit meinen ersten Holzschnitten. Ich bin dann aber von dort weggegangen und habe versucht, irgendwo die verpönte heile Welt zu finden. Weil ich sie immer gesehen und noch gekannt habe und meine, dass sie jeder Mensch noch finden kann, irgendwo in seiner Umgebung – nicht zuletzt bei den Kindern. Ich glaube das heute noch.

Das Bild (eines Kindes in der Geborgenheit) könnte ein Symbol sein für das ewig Unzerstörbare, Menschliche, das vor allem in jedem Kind wiederum zur Erde kommt, gekrönt auf wunderbare Art – eben weil es sich aus sich heraus immer wieder erneuert. Und diesen Glauben, der die Menschen immer weiterbringt, den wollen wir ja nicht verlieren. Ich werde nach meiner Einstellung zu der Kunst dieser Zeit gefragt. Ich finde, dass den Künstlern etwas fehlt. Sie graben herum in den Irrungen der Zeit, dem Entsetzlichen oder Nichtssagenden, Leeren oder Abstrakten, toten Gebilden. Ich will damit nichts zu tun haben, sondern glaube doch daran, dass der Funke des Lebens – auch wenn sich noch soviel Asche darüber legt – immer wieder erhalten bleiben wird.

Siehe auch

 
„Kreuzigung“ – Isenheimer Altar in Colmar von Matthias Grünewald
 
„Verkündigung“ von Fra Angelico im Kloster San Marco in Florenz
„Verkündigung“ – Isenheimer Altar in Colmar von Matthias Grünewald
„Klosterfriedhof im Schnee“ von Caspar David Friedrich, 1819
„Mutter beschirmt ihre Kinder – Saatfrüchte dürfen micht vermahlen werden“ von Käthe Kollwitz, 1942
„Der singende Mann“ von Ernst Barlach, 1928

 

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